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christlichen Glaubensweg
Artikel
Torsten Zilcher
Zur Begrifflichkeit von "Gestalt"
Der Begriff "Gestalttherapie" gibt vielen Assoziationen Raum, die einem genauerem
Verständnis der Gestalttherapie oftmals im Wege stehen.
Ich möchte daher versuchen, den Begriff ein wenig zu füllen, um damit deutlich
zu machen, vor welchem Hintergrund wir in unserem Institut ausbilden.
Das Wort “Gestalt” ist ein Begriff aus der Gestaltpsychologie. Diese beschäftigt
sich mit den Grundlagen der Wahrnehmung des Menschen. Dabei hat man festgestellt,
dass Menschen dazu neigen, die Wahrnehmung ihrer Umwelt nach bestimmten
Gesetzmäßigkeiten zu organisieren. Eine wesentliche Gesetzmäßigkeit
dabei ist, dass wir danach streben einzelne Teile zu einer “Gestalt” werden
zu lassen. Ein Beispiel: “Ich zeige Dir Punkte, die kreisförmig angeordnet sind
und frage Dich, was siehst Du?” Du wirst tendentiell zu der Antwort “ein Kreis”
neigen und nicht die einzelnen Punkte zählen. Dieses Wahrnehmungsphänomen
wird nun in der Gestalttherapie auf emotionale Prozesse übertragen. Stell
Dir vor, ein Pianist liegt in seinem Bett und will einschlafen. Da spielt ein anderer
am Flügel im Wohnzimmer eine dem Pianisten bekannte Melodielinie und
läßt die letzten Töne weg...
Es kann sein, dass dies bei dem Pianisten eine gewisse Unruhe auslöst und er
darüber nicht gut einschlafen kann. Vielleicht muß er erst ins Wohnzimmer gehen
und diese Melodielinie vollenden, um zur Ruhe zu kommen.
Als Gestalttherapeut würde ich sagen; er muß diese “offene Gestalt” schließen,
um innerlich wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Übertragen wir dieses Phänomen auf tiefere emotionale Prägungen, dann ergibt
sich folgende Geschichte:
"Ein 10 jähriger Junge lebt in einem familiären
Umfeld, dass geprägt ist von Spannungen der Elternbeziehung, die schließlich
zur Scheidung führen. Der Junge macht die Erfahrung, dass für seine Emotionalität
kein Platz mehr da ist, da die Eltern genügend mit sich selber zu tun haben.
Da dieses “kein Platz zu haben” - Gefühl für den Jungen sehr schmerzhaft
ist, lernt er, sein Bedürfnis nach emotionalen Kontakt zu seinen Eltern zu verdrängen,
bis er es nicht mehr spürt. Er tut dies, um den Schmerz nicht mehr spüren
zu müssen, der für ihn in dieser aktuellen Situation unerträglich ist."
Was bleibt, ist die "offene Gestalt" der unerfüllten Sehnsucht nach emotionaler
Bindung.
In der Gestalttherapie bieten wir Räume und Experimentierfelder an, mit verdrängten
Gefühlen (oder auch unerledigten Geschäften, oder eben der “offenen
Gestalt”) in Kontakt zu kommen. Dies bedeutet in der Regel auch, in Kontakt
mit dem Schmerz zu kommen, der ursprünglich verdrängt wurde weil er für
das kleine Kind zu bedrohlich war.
Als Erwachsener habe ich jedoch ganz andere Ressourcen zur Verfügung, diesen
Schmerz zu bewältigen. Als Gestalttherapeuten versuchen wir, einen sicheren,
respektvollen Rahmen anzubieten, der dabei hilft und unterstützt, sich
diesen kritischen Gefühlen stellen zu können. Dabei geschieht eine Art Reifung
der psychischen Anteile in mir, aus denen heraus ich als Erwachsener auch als
verletztes Kind agiert habe.
Dies führt letztlich zu einem größeren Handlungs- und Gefühlsrepertoire und erweitert
dadurch meine Lebensmöglichkeiten als erwachsener, reifer Mensch.